Das
heiße Wasser fließt an meinem Körper entlang. Es spült all die
Sorgen von gestern Nacht weg und zieht sie mit sich in den Abfluss.
Widerwillig stelle ich das Wasser ab und trete auf die kalten
Fliesen. Ich greife nach einem Handtuch und tupfe mich ab. Einen
kurzen Blick werfe ich in den Spiegel, doch dann wende ich mich
schnell wieder ab. Ich stelle mich mit geschlossenen Augen vor den
Spiegel meines Badezimmers. Meine Augen fangen schon an zu schmerzen,
so fest kneife ich sie zu. Es ist jetzt Wochen her, seit ich mich das
letzte Mal selbst im Spiegel betrachtet habe. Den Anblick meiner
Selbst ertrage ich nicht. Ich drücke meinen spitzen Fingernagel in
meinen Arm, sodass der Schmerz viel zu groß wird und ich laut
aufschnappe und dabei meine Augen sofort aufreiße. Erneut ringe ich
nach Luft, als ich mich im Spiegel betrachte. Die Spuren der
Vergangenheit lasten noch immer auf mir.
Mit
einem Finger zeichne ich die Konturen meines Schlüsselbeins nach.
Ich gelange zu meinem Hals, wo ein großer, blauroter Fleck zu
erkennen ist. Mit leichtem Druck tippe ich auf dem Fleck herum und
schlagartig durchfährt mich ein stechender Schmerz. Ich zwinge mich
trotz des Schmerzes die Augen aufzulassen, um weiterhin meinen Körper
betrachten zu können. Meinen Blick wende ich von meinem Hals ab und
betrachte meine Arme. Die tiefen Schnitte der Klinge sind noch klar
erkennbar. Ich würde sehr viel Make Up benötigen , um all diese
Spuren zu verdecken. Ich könnte einen neuen Start als eine andere
Person wagen.
Mit
einem schnellen Ruck öffne ich mein unter den Achseln befestigtes
Handtuch und höre wie es auf die Fliesen fällt. Schlagartig
durchfährt mich ein Zittern und Gänsehaut bildet sich auf meinem
Körper. Ich denke daran später mal unsere Heizung einzuschalten,
doch jetzt gewöhne ich mich so langsam an die kühle Luft auf meiner
Haut. Es hat mich schon immer eine große Überwindung gekostet mir
meinen Körper anzusehen. Doch je länger ich ihn anstarre, werde ich
das Gefühl nicht los, dass dieser Körper doch gar nicht so schlecht
scheint. Natürlich hat er nichts von den Figuren der anderen,
schöneren Mädchen aus den Zeitschriften. Und doch ist da was, was
mich nicht den Blick abwenden lässt. Vielleicht sind es die schon
fast verblassenden Flecken auf meinen Ober- und Unterschenkeln oder
die schon verheilenden Schnitte an mir.
Es
scheint so, als wären mehrere Minuten oder gar Stunden vergangen,
seitdem ich mich vor den Spiegel gestellt habe. Vielleicht warte ich
darauf, dass etwas passiert und ich meinen wahren Körper sehe. Denn
vielleicht bilde ich mir auch nur diesen Körper ein. Vielleicht
sind diese Gedanken wieder da, dieser Wunsch, so zu sein wie es alle
sind. Wie alle mich wollen. Ihren Körper, ihr Gesicht, ihre
Schönheit, ihr Alles auch an mir zu sehen. Doch nie, nie wurde mir
dieser Wunsch erfüllt. Nur der Schmerz des unerfüllten Wunsches
wächst von Tag zu Tag. Doch nichts, was gestern war kann ich zurück
lassen. Es verweilt auf mir, hat seine Spuren tief in und auf mir
hinterlassen. Und jeder der mich kennen lernt wird den Schmerz sehen,
nicht nur durch die Schnitte auf meinen Handgelenken, sondern auch in
meinen Augen. Denn dieser Schmerz ist nicht abzuhängen, nicht
zurückzulassen. Er verweilt in mir.
Das
Wasser grummelt laut in den Rohren. Mein Kopf dröhnt immer noch,
obwohl eine heiße Dusche immer meine Migräne milderte. Ich fühle
mich wie weggetreten. Alles verschwimmt vor meinen Augen, bunte
Lichter blitzen auf und hier und da spüre ich ein sanftes Kribbeln
in mir. Unwissend, woher all diese Wahrnehmungen stammen, trete ich
aus der Wanne und werfe mir ein Handtuch über. Ich starre auf meine
Wand, dort sehe ich noch die Abdrücke des Spiegels, den die Mieter
vor mir hängen hatten. Diese Stelle würde bei mir kahl bleiben,
einen Spiegel hat bei mir nichts zu suchen. Vielleicht würde ich ein
Porträt von einer hässlichen Gestalt hinhängen, die mich jedes
Mal, wenn ich aus der Wanne steige amüsiert auslacht.